Wege der Aufarbeitung

… werden Gefühle zu Eis …

Eine Abhandlung aus dem einstigen Themenarchiv

Wege der Aufarbeitung


Diese folgenden Abschnitte habe ich ganz bewusst so einfach wie nur möglich zu formulieren versucht; ich habe auch sprachliche Bilder dafür verwendet. Es ist definitiv ein sehr schwieriges Thema. Viele Menschen hinterfragen so manche Dinge, die man im sogenannten Psychologendeutsch kaum bis gar nicht versteht. Natürlich sind diese Infos nur die Spitze eines Eisberges und auf gar keinen Fall vollständig. Thema:

„Wege der Aufarbeitung“

Wie arbeitet Ihr eigentlich auf? Auf welche Weise verarbeitet Ihr? Was sind Eure Möglichkeiten, was sind Eure Optimalvorstellungen; wie setzt Ihr „Aufarbeitung“ und „Verarbeitung“ in die Tat um? Was sind darin die Unterschiede? Oder verdrängt Ihr (ganz)?


1. Was ist Aufarbeitung?
2. Was ist Verarbeitung?
3. Was ist Verdrängung?
4. Narben


1. Aufarbeitung ist:

Jetzt aktiv etwas anzugehen was an die Oberfläche will, abschnittweise, schwerpunktmäßig, zu bestimmten Zeiten.
Etwas nicht aufgearbeitet zu haben bedeutet, dass noch etwas Diffuses in der Seele brach liegt – es ist der Seele weder nützlich, noch ist es „Müll“, kann nicht „entsorgt“werden, weil unklar ist, ob es einmal eine (wichtige) Bedeutung für uns haben wird oder kann. Meine Gedanken dazu: Wie eine Rumpelkammer voller unüberschaubarer Gerümpeldinge – brauche ich sie noch oder werde ich mich irgendwann komplett davon trennen? Ist dies oder jenes evtl. sogar wertvoll, und ich weiß es nur nicht?

Dinge, die aufgearbeitet werden wollen, kommen teilweise von selbst an die Oberfläche; manchmal schrittweise, gut zu erkennen, dass sie kommen; manchmal mit unberechenbarer Macht. Manchmal in Form von Träumen, oder in Erinnerungen, die immer wiederkehren und stärker werden. Oder in spiralmäßigen Gedankengängen („Schrauben“) … oder gar in Tätigkeiten, im Handeln, Agieren, Reagieren; dies alles entweder teilweise bewusst oder unbewusst.
Teilweise müssen wir auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn die aufzuarbeitenden Dinge sich zwar melden, aber nicht herauskommen wollen. Wenns alles verkantet, verkeilt, verklemmt ist. Oder es zu gefährlich wäre, allein daran herumzuarzten. Oder einfach auch, weil wir gar nicht immer imstande sind, zu beurteilen, ob da wirklich etwas ist oder nicht! Oft kommt es nämlich aus unserer Sicht zu Fehleinschätzungen: „Es geht mir doch gut …“.

Die aufzuarbeitenden Dinge fragen uns nicht: „Hey, willst Du mich jetzt aufarbeiten“. Für uns kommt dies fast immer überraschend, aber eigentlich immer unpassend. Wir wollen es nicht. Nicht freiwillig. Nicht jetzt, nicht hier. Am besten nämlich gar nicht.

Der Weg der Aufarbeitung ist ein Weg voller Dornen, voller Unkraut, ohne Befestigung und ohne glattem Untergrund. Er ist unberechenbar und unübersichtlich.
Ein weiteres gutes Bild ist ein Gebirge. Die vor uns liegende Aufarbeitung gleicht einem Gebirge. Es gehört Mut dazu, es zu besteigen. Der Weg, das Geradeaus, ist durch hohe Gebirgsmassen versperrt (noch!). Wenn ich rufe, wirft das Echo alles auf mich zurück, was mir das Gefühl gibt, eingeschlossen zu sein …

Wer eine Aufarbeitung von sich weist, verdrängt.
Das Ziel der Aufarbeitung ist langfristig VERarbeitung.


2. Verarbeitung ist:

Verarbeitung ist, vereinfacht gesagt, ohne vorherige Aufarbeitung nicht möglich.
Verarbeitung bedeutet: etwas ist abgeschlossen, aber nicht FORT, man kann damit leben lernen und evtl. anderen Menschen helfen.

Der Satz klingt sehr stark vereinfacht. Es ist der sogenannte Optimalfall. In Wahrheit verarbeitet man stückweise. Auch wenn man glaubt, etwas ganz und gar verarbeitet zu haben: manchmal ergibt es sich, dass man den einen oder anderen Schritt zurückgeführt wird zu etwas, was weit weit dahinten liegt. Es scheint, als ob man den Weg der vorherigen Aufarbeitung mit dem Ziel der Verarbeitung zwar gründlich gegangen ist; doch stellt man fest, dass man vielleicht sogar einen größeren Schritt zwischendurch getan hat, um über einen Felsbrocken, kleiner oder größer, der mitten auf dem Weg lag, einfach darüberzusteigen. Nun ist es Zeit, den Weg kurz zurückzugehen und ihn aus dem Weg zu schaffen, damit alles „schön gepflegt aussieht“. (Stellt Euch eine hübsche Landschaft vor.)

Muss der Brocken denn weg? Ein landschaftsliebender und -pflegender Mensch kann zwei Dinge sagen: Ja, ich räume ihn entweder aus – oder ich nutze ihn als eine Art Mal, zur Erinnerung (an das, was war). Ich verziere ihn jetzt und pflanze Blumen drum herum. Ich mach was Schönes, Sinnvolles daraus.

Wir alle haben zwar dann und wann etwas verarbeitet, doch kann es gut angehen, dass wir tatsächlich noch den einen oder anderen Rest, der hinter uns liegt, nacharbeiten müssen. Doch der Weg, den wir deshalb zurückgingen, ist nicht mehr dornig-versperrt, sondern klar sichtbar und gut gehbar. Es ist ein gepflegter Weg, etwas, was wir vormals selbst geschafft haben. Wenn wir kurz zurückgehen, kommen wir leichter wieder vorwärts als ganz zu Anfang, wo wir mit blutenden Händen uns den Weg frei“sensen“ mussten …


3. Verdrängung ist …

… gefährlich:

° Entweder verdrängt man komplett – oder, was sehr gefährlich ist:

° Man beginnt eine Aufarbeitung, bricht sie mittendrin ab und verdrängt dieses „kaputte“, nicht beendete, Aufarbeiten. Dieser abgebrochene Prozess kann sehr sehr wehtun und schmerzhaft sein, zusammen mit dem, was ja noch brachliegt und aufgearbeitet werden soll!

° Aufarbeitung + Verarbeitung bilden ein Puzzle; immer ein Teil mehr und es fügt sich zu einem harmonischen Gesamtbild der Heilung zusammen, und/oder auch ganz einfach zu einem Gesamtbild der einzigartigen Individualität des Menschen.

° Jeder Mensch hat seine persönliche Art, zu verdrängen. Es kann eine Art Mechanismus darstellen. Ein klassisches und leider sehr häufiges Beispiel ist Essen. Oder hungern. („Ich fülle mich mit Nahrung aus, anstatt das Problem in mir Raum einnehmen zu lassen. Oder ich hungere mich aus, entziehe dem Problem die Nahrung …“)

° Verdrängen ist wie die Redewendung mit „Wasser“: Das Wasser sucht sich auf die Dauer seinen Weg. Wir können nicht ewig verdrängen, schon gar nicht erfolgreich. Irgendwann kommt definitiv alles hoch und verursacht (schlimme) Schäden.
Das Gefährliche beim Verdrängen: es werden u.U. eigene Erfahrungen an Schwächere weitergegeben …

° Wenn ich etwas gerade aufarbeite und ich kann nicht mehr weiter das Verdrängte aufarbeiten weil es mich umbringt, dann ist es doch auch sicherer es zu lassen, oder? Ist mein Aufarbeiten dann gescheitert *, wenn ich wieder anfange, zu verdrängen?

* Nein; es ist nicht gescheitert, sondern aufgeschoben. Es ist auch ein sicheres Zeichen dafür, dass jetzt ein Zeitpunkt erreicht ist, jetzt wirklich professionelle Hilfe daran zu lassen. Wir können nicht alles alleine aus eigener Kraft schaffen – das ist auch manchmal sehr riskant.

° Wenn nun was „hochgekommen“ ist, aber man sich sagt, nee, das kann nicht sein, aber man trotzdem immer wieder drüber nachdenken muß, und auch gewisse Träume hat … unter was zählt * das dann? Man „tut“ es doch weder aufarbeiten noch verdrängen, oder?

* Dies überlasse ich lieber den Fachleuten. Es kann sich um den zurückgelassenen Felsbrocken handeln (s.o.); oder um eine Art Bestandsaufnahme, eine Analyse der Seele. Die Seele prüft gelegentlich selbst, wie weit sie gewachsen, gereift, geheilt ist, und fordert sich selbst manchmal mit solchen Dingen oder Phänomenen heraus („wie weit halte ich das jetzt aus im Gegensatz zu früher? Was ist da noch, was kann ich noch schaffen?“) – Mehr sage ich dazu an dieser Stelle nicht, weil ich nicht kompetent dafür bin.


4. Was immer bleibt, sind Narben …

Manchmal ist der Kopf verantwortlich dafür, dass Narben in der Seele oder im Herz wieder aufgerissen werden -könnten-.
Es gibt körperliche Narben nach körperlichen Verletzungen, die sehr gut verheilen und die man kaum noch sieht. Es gibt aber auch welche, die wulstig verwachsen und zu wuchern beginnen, obwohl sie geschlossen sind. Sie werden vom Arzt entweder abgeschliffen oder man pflegt sie mit einem medizinischem Balsam, damit sie elastisch bleiben.

Auch innere Narben bedürfen der Pflege. Doch diese Pflege zu bekommen, ist leider oft sehr schwer. Liebe, Annahme, Akzeptanz, Respekt und Toleranz, Geborgenheit und Trost sind Grundbedürfnisse, die jeder Mensch hat und unser Balsam darstellen. Doch dies fühlen wir oft nicht, weil wir es uns *leider* schon allein von unserer verkorksten Prägung her nicht einmal selbst zugestehen …

Vergiss nie: Narben, gleich welcher Art – können dann und wann auch sehr schmerzen!

 

© Lena van Zwieten de Blom (2004)

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