Gewalt in der Alterspflege

Tabu-Türen … eine nach der anderen öffnen und hindurchgehen.

Missbrauch, Misshandlungen und Gewalt in der Alterspflege – und:
Der Missbrauch am Pflegepersonal um alte Menschen zu misshandeln

Dieses brisante Thema richtet sich an alle Berufskolleginnen und -kollegen, die in Pflegeeinrichtungen tätig sind. Es gilt, die sogenannten „schwarzen Schafe“ zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Warum ist das Thema „brisant“? Und: Was bedeutet „brisant“?
Dieses kleine Wort hat eine enorme Spannweite von Bedeutungen: Brennend, aktuell, heiß, bedeutend, drängend, ernstlich, gegenwärtig, heikel, kritisch, akut – um nur einige Möglichkeiten zu nennen.

Als ehemalige Pflegehelferin DRK/SRK und spätere Pflegeassistentin habe ich miterlebt, wie alte Menschen mit erschreckender Regelmässigkeit gequält und misshandelt wurden. Und als diejenige, die in der Jobhierarchie ganz unten platziert war, die den wirklich unangenehmsten Teil im Rahmen der Pflege zu erledigen hatte (Sie wissen schon, was ich meine), bemerkte ich diesen Missbrauch durch die Ranghöheren zusätzlich auch an mir selber.

Ich habe mit Liebe, Hingabe und echtem Herzblut gepflegt. Und ich habe genau deshalb nicht still den Mund gehalten, sondern gegen gewisse Praktiken laut aufbegehrt und meine junge Stimme für die Alten eingesetzt. Sehr oft sogar. Und genau dazu will ich Sie ebenfalls ermutigen!

Die Tragik der Senioren möchte ich mit Ihnen gemeinsam einmal näher anschauen.

Unter der heute von uns zu pflegenden Generation befinden sich potenziell Betroffene von Missbrauch und Misshandlungen, die zu ihren „damaligen“ Zeiten an ihnen stattfanden. Sie haben damals bereits geschwiegen. Alle haben geschwiegen; eben auch die, die vielleicht davon etwas ahnten oder sogar mitbekommen hatten. Das Schweigen aller war Pflicht – wenn es sich nicht gerade um ein offensichtliches öffentliches Verbrechen handelte. Das war es jedoch immer, aber man wiegelte es ab, um es in den meisten Fällen hinter die Tabu-Tür zu verbannen.

Dann gibt es glücklicherweise auch Senioren, die „so etwas“ nicht erlebt haben. Weder am eigenen Leib noch in ihrem Umfeld.

  • Der damals bereits Betroffene kann durchaus heute erneut leiden.
  • Der damals Unbetroffene kann durchaus heute erstmals leiden.

Und beide – schweigen. Sie haben es nicht anders gelernt. Eine ggf. vorhandene Demenzerkrankung verstärkt das Schweigen zusätzlich.

Ich selbst habe 12 Jahre in der Pflege gearbeitet. In der allgemeinen Alterspflege, zusätzlich auch in geschlossenen Demenz-Wohngruppen. Was ich zu sehen bekam und „mitmachen“ musste, hat mir oft das Herz gebrochen.

„Mitmachen“ bedeutet in diesem Zusammenhang:
Was man von mir in meinem Job gefordert hat.
Was man von mir als tägliche Routinearbeiten erwartet und mir vorgeschrieben hat, dieses zu tun oder jenes zu lassen.
Wozu man mich selbst für die eigene Bequemlichkeit missbrauchen wollte.

Und ich habe dieses oder jenes eben nicht „mitgemacht“.

Die meisten Beschäftigten in der Pflege haben Angst, ihre Arbeit und somit ihre komplette Existenzsicherheit zu verlieren, wenn sie sich weigern, etwas Bestimmtes zu tun oder zu lassen. Der Druck ist extrem – die blanke Panik vor dem Jobverlust lässt sie wie die drei Affen handeln: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Aber – machen müssen.

° Eine in der Finalphase sterbende Seniorin wurde nachts in meiner Anwesenheit von einer Pflegerin beim Inkontinenzmaterialwechsel so gewaltsam „gedreht“, dass sie mit der kompletten Körperhälfte gegen die Wand knallte. Kommentar: „Wie denn sonst? Es geht ja nicht anders.“

° Schwerst demenzerkrankten Senioren räumte man nach 25 Minuten das Mittagessen wieder ab. Sie hatten kaum einen Bissen zu sich genommen. Das Essen war ihnen noch zu heiß, zudem laufen sie aufgrund der Krankheit umtriebig auf und ab und können nicht mehr am Tisch sitzen bleiben. Sie essen immer häppchenweise zwischendurch, man muss es ihnen nur immer wieder anbieten. Es wurde ganz offen kommuniziert, dass das Essen nun entweder im Schweineeimer oder in der Biogasproduktion landen sollte. „Sie wollen ja schliesslich nichts essen.“

° Eine Aushilfe hatte den Auftrag, einem alten Herren eine Zwischenmahlzeit einzugeben. Der liebe Senior war ein Kavalier, ein Gentleman „alter Schule“ gewesen, immer sehr höflich, gesittet und fein gekleidet. Jetzt war er hochbetagt und sass dement im Rollstuhl. Die Tür stand offen und die Aushilfe hat es nicht gemerkt. Sie zwang ihm die Mahlzeit mit Gewalt in den Mund mit den wuterfüllten Worten: „Du frisst das jetzt.“

° Ein anderer Pfleger mit Tagesverantwortung auf der Abteilung servierte einem anderen Herren das Abendessen erst gar nicht, sondern nahm es im Stationszimmer selber ein. „Der merkt das doch gar nicht mehr.“

° Regelmässig sollte das Pflegehilfspersonal den umtriebigen Demenzerkrankten nicht verschriebene Sedativa eingeben. Es ist vorgekommen, dass dies anschliessend nicht von der Vorgesetzten in der Pflegedokumentation festgehalten wurde. „Dann schlafen sie endlich. Wenn sie nachts wach sind, ist das das Problem der Nachtwache.“

° Beim An- und Auskleiden wurde eine zum Teil so dermassen brutale Gewalt angewendet, dass die atrophische Haut der Senioren an den Unterarmen und sogar im Gesicht gerissen ist.

° Aus reiner Faulheit wurde einer bettlägerigen Bewohnerin an einem Sonntagnachmittag die verstuhlte Inkontinenzeinlage nicht gewechselt. „Wozu? Die liegt doch eh im Bett. Kann man später machen.“
Es kam Besuch. (… Platz für Kopfkino …)

° Diebstähle sind leider der traurige Klassiker. Einer bettlägerigen Frau in der Terminalphase wurden direkt von ihrem Arm die Goldreifen abgezogen und gestohlen. Die Kreditkarte wurde ebenfalls entwendet, das Konto geknackt. Die Täterin wurde später überführt.

° Ich bin eine Verfechterin für eine gute und saubere Biographiearbeit und plädiere dafür, diese bei jedem Senioren zu führen. Gerade im Rahmen der Aktivierung kommen dabei wertvolle Schätze ans Licht.
Ein Kommentar aus der Chefetage lautete einmal: „Wozu? Die sind doch jetzt eh alt. Ist doch heute egal wer oder was sie früher waren.“

 

Dies sind nur ein paar wenige und sehr typische Beispiele, wie unsere alten Menschen, die uns anvertraut sind, Tag für Tag misshandelt werden. Es geht noch viel schlimmer. Die Schlagzeilen aus Zürich vor ein paar Jahren, wo der sexuelle Missbrauch an den alten Menschen einer Betreuungseinrichtung publik wurde, ist solch ein Fall, der einem schlichtweg die Luft zum Atmen abschnürt.

 

Trauen Sie sich, sich zu wehren! Sagen Sie „STOPP“! Sagen Sie „nein“! Machen Sie nicht alles mit!

Schützen Sie Ihre Ihnen anvertrauten Mitmenschen!

Unterbrechen Sie den Missbrauch an sich selber.
Decken Sie die „schwarzen Schafe“ auf!
Machen Sie Schluss mit Ihrem Schweigen.

Geben Sie mit Ihrer Weigerung, mit Ihrem „Stopp“, Ihrem „Nein“ den alten und betagten Menschen Ihre Stimme – denn sie hatten nie eine eigene.
Schweigen Sie nicht länger mit ihnen, sondern lassen Sie sie endlich gehört werden.

Sie sind Angehörige(r) und haben einen Verdacht?
Sie arbeiten selber in der Pflege und Sie sind unsicher?
 
Nehmen Sie mit mir Kontakt auf; ich berate Sie gerne!

 

© Lena van Zwieten de Blom (2019)

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